Erwerb des künstlerischen Nachlasses von Boris Siemienkewitsch

Der Sinsheimer Maler Boris Siemienkewitsch (1922-2013) hat überwiegend im Stillen gewirkt. Dennoch entstand in einer Schaffensperiode von den 1940er bis in die 1980er Jahre ein beachtliches Werk, das vor allem Motive aus Sinsheim, Blumenbilder und auch religiöse Motive umfasst. Wir besaßen seit 2022 bereits acht Bilder des Malers und konnten nun im August 2023 auch noch den etwa 50 Bilder und diverse Zeichnungen umfassenden Rest seines künstlerischen Nachlasses erwerben. Mittels der neu erworbenen Bilder sowie mit neuerlichen Recherchen zu seiner Biografie lässt sich der Lebensweg des Künstlers nun anschaulich nachzeichnen.

Siemienkewitsch stammte usprünglich aus der Gegend um Stoubzy bei Minsk. Das heute zu Weissrussland zählende Gebiet war wenige Jahre vor seiner Geburt an Polen gekommen, so dass er die polnische Staatsbürgerschaft besaß. Er besuchte Schulen in Stoubzy und Baranowitschi und wollte Lehrer oder Schauspieler werden. Im Zweiten Weltkrieg schlossen die Deutschen jedoch Schulen und Theater und verschleppten den jungen Mann im Oktober 1943 zur Zwangsarbeit nach Deutschland. Er arbeitete in Rüstungsbetrieben in Sachsen und im Sudetenland. Nach Kriegsende ging er nach Ravensburg und dann für einige Jahre nach München. Eine Rückkehr in seine Heimat schloss er aus, da die einst von Polen besetzten Teile Weissrusslands in Folge des Zweiten Weltkriegs an die Sowjetunion gefallen waren.

Im München der Nachkriegsjahre wird Siemienkewitsch künstlerisch greifbar. Er fertigte Ansichten aus der Stadt und schuf 1947 eine Kopie nach einem bekannten Porträt des Komponisten Georg Friedrich Händel. Seine frühen Werke sind zumeist mit Wasserfarben kolorierte Bleistiftzeichnungen. Außer für Malerei hat er sich für klassische Musik interessiert und war ab 1947 in München auch am Händel-Konservatorium eingeschrieben.

In den 1950er Jahren kam Siemienkewitsch schließlich nach Sinsheim. Dort entstanden nun insbesondere größere Ölbilder, meist auf Faserplatte, seltener auf Leinwand, die er bei örtlichen Kunsthandlungen rahmen ließ. Er malte hauptsächlich Ansichten aus Sinsheim, Blumenstillleben und religiöse Motive. Bei den Ortsansichten und Blumenbildern erweist er sich als genauer Beobachter, der dichte Kompositionen in einer großen Detailfülle wiederzugeben versteht. Als Porträtist wusste er jedoch nicht mehr zu überzeugen. Seine Gesichter, vor allem auch die seiner Madonnen, wirken maskenhaft mit übertrieben großen Augen.

In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre kommen in seinem Werk Eindrücke aus anderen Ländern hinzu. Er spiegelt damit exakt die Entwicklung des Reiseverhaltens der Deutschen in den Nachkriegsjahrzehnten wieder, die in den 1960ern – oft mit dem ersten eigenen Auto – in die Alpenländer, nach Norditalien oder nach Frankreich fuhren. Seine Bilder aus jener Zeit zeigen eine Szene an einem der oberitalienischen Seen (1967), Fischerboote vor Venedig (1968), den Montmartre in Paris (1968), das Friedenskircherl auf dem Stoderzinken (1972) und eine wahrscheinlich andalusische Hafenszene (1975).

Ebenfalls um 1970 kehrte er zeitweilig zur Wasserfarbe zurück und schuf in dieser Technik insbesondere mehrere Ansichten des Stifts Sinsheim, die vielleicht teilweise auch nur Studien für danach ausgeführte Ölgemälde waren. Den Blick durch das Tor des Stifts auf den charakteristischen Turm der Stiftskirche, den wir als Wasserfabrbbild und als großformatiges Ölbild besitzen, hat der Maler einst auch als beidseitig betrachtbares Hinterglasbild ausgeführt.

Stift Sinsheim, Ölgemälde, dat. 1975.

Siemienkewitsch hielt auch in der Folgezeit noch einige Reiseziele im Bild fest (Burg Hohenzollern 1975, Ronco sopra Asona 1982). Im Jahr 1981 scheint er sich intensiv der Tiermalerei gewidmet zu haben und schuf eine Folge von sechs Holztellern mit Tiermotiven sowie ein vielfiguriges Bild einer Jagdgesellschaft mit ihren vielen Hunden.

1982 fertigte Siemienkewitsch einige Kopien nach Tizian: die Venus von Urbino sowie Ecce Homo und Mater Dolorosa. Auch seine 1988 entstandene Madonna (nach Luigi Croso) und einige Porträtbildnisse sind sicherlich Kopien nach Foto- oder Gemäldevorlagen.

Eines seiner spätest nachweisbaren Werke verbindet seine religiösen Bilder mit seinen Heimatmotiven: die 1988 datierte Prozession durch Sinsheim mit dem vielfigurigen Prozessionszug vor der Kulisse einiger charakteristischer Sinsheimer Fachwerkgebäude kann sicher als eines der Hauptwerke des Malers gelten.

Prozession durch Sinsheim, dat. 1988.

Seinen sperrigen, eigentümlich eingedeutschten Nachnamen Siemienkewitsch (die übliche polnische Schreibweise wäre Siemienkiewicz) hat der Maler auf seinen Bilder zumeist abgekürzt. Wir kennen die Varianten „B. Siem“, „B. Siemen“ und „B. Siemien“.

Etliche weitere der Bilder des Malers haben sicher auch biografische Bezüge. Eines seiner Männerbildnisse zeigt ihn wahrscheinlich selbst als jungen Mann, ein Frauenbildnis ist als Porträt der Mutter in jungen Jahren gekennzeichnet, weitere Frauenporträts könnten Bildnisse seiner Gattin sein. Ein der Bauart der Häuser nach nordosteuropäisches Gehöft auf einem seiner Bilder hat vielleicht einen Bezug zu seiner weissrussischen Herkunft.

Mit dem Erwerb des künstlerischen Nachlasses ist es nunmehr möglich, die Motivwelt eines Sinsheimer Hobbymalers zu dokumentieren und darin seine Biografie nachzuzeichnen, die aufgrund seiner Vertreibungsgeschichte eng mit dem Weltgeschehen des 20. Jahrhunderts verknüft ist und weit über die reine Hobby- und Heimatmalerei in Sinsheim hinaus geht.

Auch Siemienkewitschs Ehefrau Helga Buttmi (1926-2021) war künstlerisch tätig. Wir besaßen zuvor bereits eines ihrer Bilder. Mit dem Erwerb des Nachlasses verfügen wir nun auch über mehrere ihrer Werke aus der Zeit von 1949 bis 1956.

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