Der Maler Pius Lipp aus Haßmersheim

In den älteren Beständen unserer Sammlung gefindet sich seit langer Zeit ein unscheinbares Bild einer Schwarzwaldlandschaft, mit typischen Gehöften in charakteristischer bewaldeter Berg- und Hügellandschaft. Da der Schwerpunkt unserer Sammlung jedoch auf Malern aus dem württembergischen Unterland, aus Kraichgau, Hohenlohe und Odenwald liegt, blieb das Bild aus dem Schwarzwald bei der wissenschaftlichen Katalogisierung unserer Sammlung ab 2017 zunächst unbeachtet.

Inv. Nr. 0000.070: Schwarzwaldlandschaft mit Gehöft.

Das Bild hat die Maße 35 x 47 cm, ist auf Faserplatte gemalt und nicht gerahmt. Rechts unten trägt es die Signatur “P. Lipp”. Das Bild weist einige Verschmutzungen und Beschädigungen von unsachgemäßer Lagerung durch Vorbesitzer auf.

Als wir das Bild im September 2018 schließlich katalogisiert haben, stellte es sich zu unserer großen Freude heraus, dass es sich um ein Werk des Malers Pius Lipp (1883-1952) handelt, der in Haßmersheim nur wenige Kilometer von unserer Sammlung entfernt gelebt und gearbeitet hat, womit das Bild hervorragend in unsere Sammlung regionaler Maler passt, auch wenn das Motiv eine etwas weiter entfernte Landschaft zeigt.

Mit Entsetzen musste wir jedoch auch feststellen, dass der Odenwaldklub in Haßmersheim erst im Juli und August 2018 eine große Ausstellung mit Werken des Malers veranstaltet hatte, die wir mit unserer Entdeckung des Bildes nur um wenige Tage verpasst hatten. Im Vorfeld der Ausstellung hatte es auch eine Datensammlung zu Werken des Malers gegeben, die nun ebenfalls abgeschlossen war und in die unser Bild deswegen auch keinen Eingang mehr fand.

Doch wer war der Maler Pius Lipp? In der kunstwissenschaftlichen Literatur taucht er überhaupt nicht auf, da er die meiste Zeit nur in Haßmersheim gelebt hat und die Mehrzahl seiner Motive auch von dort stammt. Selbst im Internet ließen sich bislang nur wenige Informationen zum Leben und so gut wie keine Abbildungen von Werken des Malers finden. Vor der Ausstellung von 2018 fanden Ausstellungen mit Werken des Künstlers lediglich 1974 in Mosbach sowie 1983 in Haßmersheim statt. Bedauerlicherweise ist zu keiner der Ausstellungen eine kleine Schrift über den Maler erschienen. Im Haßmerheimer Heimatbuch von 2013 wird der Maler hauptsächlich als Textautor eines Heimatliedes genannt, ohne sein Leben oder sein künstlerisches Werk eingehender zu beleuchten. Selbst die höchst umfangreiche Datensammlung des Haßmersheimer Heimatforschers Fritz Müßig aus dem Vorfeld der Ausstellung von 2018, die man nach einigem Suchen auf der Homepage der Gemeinde Haßmersheim zum Download finden kann, ist leider nur ein unstrukturiertes PDF-Dokument mit über 250 Seiten, das keinen anschaulichen Überblick zu Leben und Werk des Malers geben kann.

Bei der intensiven Sichtung dieser Datensammlung stellte sich uns der Maler Pius Lipp als eine interessante Künstlerpersönlichkeit dar, so dass wir uns entschlossen haben, seine Biografie und eine Übersicht seiner Werke in eine anschauliche Form zu bringen und als Hinzergrundinformation zu dem Bild in unserer Sammlung auf unserer Website zu veröffentlichen. Nachfolgend lesen Sie eine kurze Biografie, unser ausführliches und reich bebildertes Lebensbild ist am Ende dieses Beitrags verlinkt.

Pius Lipp. Selbstbildnis aus den 1930er Jahren.

Pius Lipp wurde 1883 in eine Handwerkerfamilie in Haßmersheim am Neckar geboren. Er wurde wie Vater und Großvater auch Maler. Nach der Ausbildung ging er erst als Malergeselle nach Nürnberg, entschloss sich dann aber zu einem Kunststudium in Karlsruhe und Stuttgart. Als er 1914 sein Studium gerade abgeschlossen hatte, brach der Erste Weltkrieg aus. Lipp kam als Freiwilliger an die Westfront, wo er durch eine schwere Verletzung 1916 beide Beine verlor. Nach zwei Jahren im Lazarett wurde der Kriegsversehrte 1918 Zeichenlehrer in Sasbach in der Ortenau und kehrte Anfang der 1920er Jahre in seinen Heimatort Haßmersheim zurück. Dort lebte er als freier Maler und entstanden unzählige Bilder, die vor allem das Neckartal bei Haßmersheim aus unterschiedlichen Perspektiven und die nahe Burg Hornberg zeigen. Weitere Landschaftsbilder zeigen Motive aus der Ortenau, wo er Zeichenlehrer war, und aus dem Schwarzwald, von wo Lipps Frau stammte. Sein Werk wird ergänzt durch viele Blumenbilder und eine kleine Zahl diverser Motive.

Der Blick von Burg Hornberg ins Neckartal nach Haßmersheim ist ein von Pius Lipp sehr häufig wiederholtes Motiv.
Der Blick auf Haßmersheim mit Schleppzug auf dem Nackar zählt ebenfalls zu den häufig wiederholten Motiven des Malers.

Die Käufer für seine Bilder fand der Maler insbesondere in seinem Heimatdorf, in dem zu Lipps Zeiten wohl noch jeder jeden kannte und wo Lipp, unter anderem durch seine Mitgliedschaft im traditionsreichen Männergesangverein sicher gut vernetzt war. Lipp dichtete ein Heimatlied und wurde zum Ehrenmitglied des Gesangvereins. Seine Bilder hingen unter anderem im Trauzimmer der Gemeinde, im Haus des Bürgermeisters, beim Schulleiter, beim Filialleiter der Volksbank und beim Zahnarzt. Lipp wiederholte seine Motive vielfach. Allein sein Bild mit dem Blick von der nahen Burg Hornberg hinunter nach Haßmersheim ist mindestens 20 Mal bekannt. Auch von seiner Ansicht von Haßmersheim mit einem Schleppzug auf dem Neckar sind über ein Dutzend Kopien nachweisbar. Nicht nur die besseren Bürger des Ortes, auch viele Schiffer- und Landwirtsfamilien waren von Lipps Motiven angetan. In der Nachkriegszeit wechselte manches Bild auch für Naturalien seinen Besitzer.

Aus der Ehe des Malers mit Hedwig Flaig, der Schwester des Malers Waldemar Flaig (1892-1932), enstammten zwei Söhne. Doch musste Pius Lipp dann miterleben, wie im Zweiten Weltkrieg seinen ältesten Sohn auch das Schicksal einer schweren Kriegsverletzung ereilte, an der dieser letztlich verstarb. Wahrscheinlich konnte nur sein Glaube den Maler darüber hinweg trösten, das Grabkreuz für den eigenen Sohn gestalten zu müssen. Der jüngere Sohn Siegfried entschloss sich zu einem Seemannsleben fernab der Heimat. Nach Kriegsende 1945 schlossen sich erneut Notjahre an, in denen der inzwischen über 60-jährige Künstler nochmals für Kartoffeln malen musste. Ein langer Lebensabend in den Wirtschaftswunderjahren war Lipp nicht vergönnt. Er verstarb 1952 an einem Prostataleiden. Seine Witwe verkaufte bald darauf das gemeinsame Wohnhaus und zog zurück in den Schwarzwald.

Durch seine vielen Bilder im Besitz örtlicher Familien und als Textautor des Heimatlieds blieb der Maler, auch ohne Nachkommen vor Ort hinterlassen zu haben, wenigstens in Haßmersheim in guter Erinnerung. Eine überregionale Rezeption und damit auch die Würdigung seiner Bilder auf dem Kunstmarkt blieb jedoch aus.

Mit unserer Übersicht zu Leben und Werk des Malers möchten wir nicht nur den Hintergrund des Bildes aus unserer Sammlung ausleuchten, sondern möchten Pius Lipp auch vom romantisch verklärten Ruf befreien, der ihm als „Heimatmaler“ vielleicht anhaftet. Er verkörpert stattdessen viele Tragödien des 20. Jahrhunderts in seiner Person.

Lesen Sie hier: Leben und Werk von Pius Lipp