Das Rätsel um die Signatur „Klinge“ ist gelöst!

In unserer Sammlung befinden sich seit 2018 zwei anrührende Kinderbildnisse mit der Signatur „Klinge“. In beiden Fällen handelt es sich um aquarellierte Bleistiftzeichnungen von versierter Hand. Das eine Bild zeigte zwei Kinder, die auf einem Ast sitzen. Der Knabe spielt dem Mädchen mit seiner Mandoline ein Lied. Das andere Bild zeigt ein im Bett liegendes Mädchen mit einer Puppe.

Inv. Nr. 2018.023: Zwei Kinder auf einem Ast sitzend
Inv. Nr. 2018.022: Mädchen mit Puppe
Signatur „Klinge“ auf dem Bild mit den beiden auf einem Ast sitzenden Kindern

Unsere Nachforschungen zum Urheber der Zeichnungen führten uns bald zu diversen Drucken und Postkarten mit ähnlichen Motiven, die jedoch bis auf die Signatur „Klinge“ auch keinerlei weiteren Hinweise zur Identität des Künstlers gaben.

Gerahmter Druck mit Signatur „Klinge“, hergestellt von Verlag J.C. Blumenberg, Heiligenhafen.
Postkarten mit Kindermotiven, signiert „Klinge“, erschienen im Verlag Christian Pahl in Hamburg.

Auch die Lokalisierung des Künstlers gestaltete sich schwierig. Da wir unsere beiden Originale in Heilbronn erworben hatten, nahmen wir zunächst auch einen regionalen Bezug des Künstlers nach Südwestdeutschland an. Die Postkarten mit Kindermotiven und Signatur Klinge waren jedoch hauptsächlich beim Hamburger Verlag Christian Pahl erschienen. Als wir schlließlich noch eine weitere derartige Postkarte aus holländischer Produktion fanden, schien sogar ein Künstler aus dem Ausland möglich zu sein.

Und überhaupt: handelte es sich tatsächlich um einen Künstler oder nicht vielmehr um eine Künstlerin? Von der Auswahl und Gestaltung der Motive sowie vom Duktus der Signatur her betrachtet, schien uns eine Künstlerin als Urheberin deutlich plausibler als ein Mann. Gleichwohl war das Alter der uns bekannt gewordenen Motive, die wir im Zeitraum von den 1930er bis 1950er Jahren verorteten, so hoch, dass Frauen als Künstler noch die Ausnahme waren.

Wir haben Material gesammelt und baten auf unserer Website um Mitteilung über weitere Werke mit der Signatur „Klinge“ und um Hinweise zu deren Entschlüsselung. Beinahe sieben Jahre lang ergab sich keine heiße Spur. Zwar haben sich zahlreiche Besitzer von „Klinge“-Drucken aus allen Ecken Deutschlands gemeldet, doch niemand wusste etwas über den Urheber der Motive. Auch unsere sonstigen Forschungen in allerlei Archiven und Adressbüchern, in Digitalisaten und Findbüchern, bis hin zur persönlichen Befragung von uns bekannten Personen mit dem Familiennamen Klinge brachten keinerlei Hinweise.

Mädchen mit Lämmern, signiert „Klinge“.

Unterdessen machte sich 2024 der amerikanische Kunsthändler Mark Strong von Meibohm Fine Arts daran, die Identität eines Künstlers zu recherchieren, der maritime Motive mit dem Pseudonym „Ric“ signiert hatte. Solche Motive waren in den 1960er Jahren von Meibohm als Drucke in den USA vertrieben worden.

Mehrfarbiger Druck mit maritimem Motiv und Signatur „Ric“. Original bei Meibohm Fine Arts.

Bald hatte Mark Strong aus altem Schriftwechsel auch den Namen des Künstlers „Ric“, nämlich Fritz Neumann. Allerdings führten die weiteren Nachforschungen dann zunächst zu vier Trägern des Namens Fritz Neumann, die künstlerisch in Erscheing getreten waren, von denen jedoch drei zu alt und der vierte zu jung sind, so dass keiner von ihnen für die maritimen Motive von „Ric“ in Frage kam.

1963 hatte die Kunsthandlung Meibohm von „Ric“ auch neun Ölgemälde bezogen und musste für den Zoll eine Erklärung des Urhebers einreichen. In Meibohms Unterlagen fand sich schließlich die Erklärung eines Grafikers Fritz Neumann aus Berlin-Haselhorst, der die Echtheit der Gemälde und die Signatur Ric von seiner Hand bezeugte.

Der deutsche Kunstsammler Christian Mahnke, der ebenfalls schon längere Zeit nach der Identität von „Ric“ forschte, hat dann in Berliner Archiven nach Informationen über Fritz Neumann geforscht und dessen biografischen Hintergrund erhellt – und ganz nebenbei auch das Rätsel um „Klinge“ gelöst.

Fritz Neumann (1897-1984) stammte aus Berlin und besuchte dort von 1912 bis 1916 eine Kunstschule, wo er seine spätere Frau Hedwig Klinge (1895-1980) kennenlernte. Das Paar heiratete 1925, in der Heiratsurkunde werden beide als „Zeichner“ bzw. „Zeichnerin“ betitelt. Fritz Neumann leitete erst ein Reklameatelier und machte sich 1930 als Maler und Radierer selbstständig. Über ihre spätere Mitgliedschaft in der Reichskulturkammer zur NS-Zeit lässt sich herleiten, dass auch Hedwig Neumann-Klinge als Künstlerin selbstständig war. Das Paar ließ sich in Berlin-Haselhorst (Ortsteil von Berlin-Spandau) nieder. Fritz Neumann schuf hauptsächlich maritime Motive, Hedwig Neumann-Klinge konzentrierte sich auf Kinder- und Blumenmotive. Man arbeitete für verschiedene Verlage, wobei der dauerhafteste Geschäftspartner wahrscheinlich der Verlag Blumenberg war, für den das Paar bereits in den 1930er Jahren tätig war und der in den 1960ern den Vertrieb von Motiven der Neumanns in die USA ausweitete. Beide Künstler verwendeten Pseudonyme. Fritz Neumann signierte ausser mit seinem richtigen Namen auch mit „Ric“, Hedwig Neumann signierte mit ihrem Mädchennamen „Klinge“, aber auch mit „Dienhoff“. Das Paar blieb kinderlos und lebte bis zum Tod in Berlin-Spandau.

Damit ist ein jahrelanges Rätsel gelöst, das sicher nicht nur uns und den Sammler Mahnke, sondern auch viele weitere Besitzer von Originalen und Drucken mit der Signatur „Klinge“ lange umtrieb: die Künstlerin, die diese Bilder schuf, ist Hedwig Neumann-Klinge (1895-1980) aus Berlin-Spandau.

Weiterführende Links:

Ric – An unknown artist – Blog von Christian Mahnke

Fritz Neumann (AKA Ric) – Website von Meibohm Fine Arts