Plakatentwurf "Radio Bagdad" (Szandor Vincent Scharsich, 1994)

Inv. Nr. 0000.075

Beschreibung

42 x 30 cm, Collage auf Karton

Nicht signiert.

Jürgen “Szandor Vincent” Scharsich (1960-2023) war nicht nur als bildender Künstler aktiv, sondern vor allem als Musiker. Nach Mitwirkung in mehreren Bluesrock-Bands gründete er kurz nach 1990 die Formation Radio Bagdad, die zunächst noch in klassischem Band-Line-Up experimentelle improvisierte Musik spielte.

Das Konzept der Gruppe radikalisierte sich bald immer mehr. Die Besetzung wechselte häufig, statt eines Schlagzeugs kamen Computer und Stahlschrott zum Einsatz, ein psychisch beeinträchtigter Fan der Gruppe wurde kurzerhand zum “Sänger” erklärt und bot wirre gebrüllte psychotische Monologe über seine Befindlichkeiten, flackernde TV-Monitore mit Bildern von Krieg, Sex und Papst wurden zum festen Teil der Bühnenshows. Scharsich tauschte die Gitarre häufig gegen die von ihm selbst gebaute Todesfidel ein, ein Ofenrohr, das mit Saiten und Tonabnehmern zum Instrument umgerüstet war. Die Auftritte der Gruppe wurden mehr und mehr zum reinen Experiment, bei der die lärmige Musik oft nur noch Nebensache war.

Im Verlauf der frühen 1990er Jahre veränderte sich die Jugendkultur und mit ihr die Veranstaltungs-Szene, innerhalb der Radio Bagdad in Erscheinung trat. Aus vielen regionalen Underground-Festivals, z.B. der an wechselnden Orten in Kraichgau/Odenwald abgehaltenen Neonfete, wurden Techno-Partyreihen. Spätestens der legendäre mehrtägige Rave der Heilbronner Reverends of Rhythm in Obergimpern im Frühjahr 1995, bei dem auch Radio Bagdad als mehrtägiger Nonstop-Liveact beteiligt war, markiert den Wandel von Radio Bagdad hin zum Techno-Liveact. Die Gruppe schrumpfte erst zum Duo, absolvierte noch einige wenige Auftritte bei Techno-Parties, und schon bald bestritt Scharsich künftige Auftritte unter dem Namen Radio Bagdad nur noch als Solo-Technokünstler mit Gitarre und Computer.

Beim hier besprochenen Exponat handelt es sich um den Entwurf für ein Konzertplakat von Radio Bagdad am 18. Juni 1994 im Jugendzentrum in Bad Rappenau. In Collagetechnik zu sehen sind die klassische Statue eines sich küssenden Paares sowie zwei nackte Tänzer vor dem Hintergrund einer Brandruine, eines Müllplatzes sowie undefinierbarer Strukturen. Der Entwurf wurde dann schwarz/weiß fotokopiert, die Kopien als Plakate verteilt. Die Gruppe trat bei dem beworbenen Konzert noch in Bandbesetzung mit Gitarre, Bass und Schlagzeug sowie behindertem Sänger, Tape- und Computer-Einspielungen nebst diversen TV-Monitoren auf. Für das Konzert gab es keine Absprachen, außer dass es dauern solle, bis der letzte Zuhörer vertrieben ist. Dieses Ziel war nach knapp 40 Minuten erreicht.

Jürgen „Szandor Vincent“ Scharsich mit der von ihm entwickelten Todesfidel beim Soundcheck in Bad Rappenau am 18. Juni 1994:

Das Konzert ist komplett bei youtube:

Teil 1Teil 2Bonusmaterial

 

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