Heinrich Gerhard Kißling (1895-1944) war Kunstmaler in Stuttgart. Er war Professor für Landschaftsmalerei an der Stuttgarter Akademie.
Leben
Heinrich Gerhard Kißling wurde am 11. Mai 1895 in Heilbronn geboren.1 Er war der Sohn des Tapezierers und Dekorateurs Paul Kißling, der mit seiner Frau Luise in der Sülmerstraße 32 in Heilbronn lebte.2 Später lebte die Familie in der Wilhelmstraße 7.3 Das Geschäft des Vaters bestand dort noch bis über den Ersten Weltkrieg hinaus.[Adressbuch Heilbronn 1920.[/note]
Angesichts seines Geburtsjahrgangs dürfte Heinrich Kißling als junger Mann höchstwahrscheinlich im Ersten Weltkrieg gedient haben. Spätestens nach dem Krieg wandte er sich nach Stuttgart, wo er wahrscheinlich auch an der Akademie studiert hat. Und ebenso wahrscheinlich blieb er direkt nach seinem Studium auch an der Akademie, wo er bereits im Lauf der 1920er Jahre als Professor für Landschaftsmalerei jüngere Studenten unterrrichtete.
In Stuttgart war er 1922 in der Urbanstraße 77, 1925 in der Rosenbergstraße 22, 1930 in der Bismarckstraße 101 und 1935 in der Wunderlichstraße 1 gemeldet war. Sein Atelier hatte er mindestens seit 1922 in der Friedenstraße 11.4
Er war verheiratet mit Anna Körner, geb. 4. Dez. 1897.5
Während der NS-Zeit genoss die Schwäbische Kunst das Wohlwollen der Kulturpolitik. Kißling zählte 1936 zu den Landschaftsmalern, deren Werke bei der großen Ausstellung über Schwäbischer Kunst im Stuttgarter Kunstgebäude und im Landesgewerbemuseum zu sehen waren. Der Kunsthistoriker Hans Hildebrandt bescheinigte damals allen beteiligten Künstlern „gediegenes Können unter Verzicht auf alles Ueberflüssige wie auf alles Experimentelle“.6 Auch die Reichskammer der bildenden Künste fand 1937 in der städtischen Kunstsammlung Stuttgarts keinerlei „Entartete Kunst“,7 so dass das Wohlwollen der NS-Kulturpolitik für die in Stuttgart gelehrte und gesammelte Landschaftsmalerei noch wuchs. Kißling stieg zum SS-Obersturmführer auf und gehörte der neunköpfigen Kommission an, die unter Vorsitz des städtischen Kulturreferenten Hans Kleinert über Ankäufe von Werken für ein „Museum schwäbischer Kunst“ entschied.8 Kißling zählte im Senat der Kunstakademie außerdem zu den Fürsprechern des Bildhauers Fritz von Graevenitz, der 1938 zum Direktor der Kunstakademie berufen wurde.9
Bei den diversen Bombenangriffen auf Stuttgart wurden die Gebäude der Akademie vielfach getroffen. Direktor Fritz von Graevenitz schreibt in seinem im Oktober 1944 verfassten Bericht über die Zerstörung der Akademie: „Die Keller, die als sichere Bergungsräume galten, hielten den Spreng- und Phosphorbomben nicht stand und so ging unschätzbares Kulturgut verloren. Die Professoren Spiegel, Feyerabend und Kissling haben den Verlust fast ihrer gesamten Lebensarbeit zu beklagen; ebenso gingen mit den Ateliers der Professoren v. Graevenitz und Heim, fast deren sämtliche Gipsmodelle und neuangelegte Arbeiten verloren. Auch die Meisterateliers der Bildhauerklasse mit vielen hoffnungsvollen Arbeiten wurden zerstört. Die Akademie selber verlor ihre wertvolle Bibliothek, alles Inventar, darunter sehr gute alte Möbel, ebenso das vollständige Akten- und Urkundenmaterial.“10
Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs wurde Kißling wohl zur Wehrmacht einberufen. 1944 wurde Kißling vermisst11 und später für tot erklärt.12 Wie sich herausstellte, starb er im November 1944 im Kriegsgefangenenlager Focsani (dt. Fokschan) in Rumänien.13
Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet Kißling weitgehend in Vergessenheit. Da er wohl fast ausschließlich im akademischen Kontext malte und ein Großteil seines Gesamtwerks bei den Luftangriffen auf Stuttgart zerstört worden sein dürfte, sind wahrscheinlich sowohl zu Lebzeiten als auch danach nur wenige seiner Werke überhaupt in den Kunsthandel gelangt. Außerdem hat man sich mit der Erinnerung an Kißling aufgrund seiner SS-Zugehörigkeit und seines Ansehens innerhalb der NS-Kulturpolitik sicher auch schwergetan.
Werk in der Kunstsammlung Schmelzle
Weitere nachweisbare Werke
Baggerseen, 78 x 72 cm, Öl/Lwd., nicht datiert. Staatsgalerie Stuttgart, Inv. Nr. 1874. Die Staatsgalerie hat das Bild 1933 vom Württembergischen Kunstverein erworben.
Ansicht des Stuttgarter Schlossplatzes, 115 x 140 cm, Öl/Lwd., dat. 1919. Kunstmuseum Stuttgart, Inv. Nr. O-0113. Die Städtische Galerie hat das Bild 1928 vom Künstler gekauft.
Am Rande der Großstadt, Abb. bei Artinger 2020.
Uferlandschaft, Bleistiftzeichnung. Gesehen 2024 in Privatbesitz.
Einzelnachweise
- Akten der Spruchkammer 37 – Stuttgart, Staatsarchiv Ludwigsburg EL 902/20 Bü 81044.
- Stadtarchiv Heilbronn, A040B-20 Geburten Heilbronn 1895.
- Adressbuch Heilbronn 1905.
- Adressbuch Stuttgart 1922, 1925, 1927, 1930 und 1935, Handbuch des Kunstmarktes 1926.
- Staatsarchiv Ludwigsburg F 215 Bü 136.
- Die Weltkunst, Jg. 10, 1936, Nr. 17 (26. April 1936), S. 2.
- Dietrich Heißenbüttel: Meister der schwäbischen Landschaft, in: Schwäbische Heimat 2020/3, S. 271–278, hier S. 271.
- Dietrich Heißenbüttel: Schwäbische Cocospalmen, in: Kontext Wochenzeitung, 5. Februar 2020 (Link). Siehe dazu auch: Kai Artinger: Das Kunstmuseum Stuttgart im Nationalsozialismus, Stuttgart 2020, darin S. 108, Nr. 46, „Heinrich Kissling: Am Rande der Großstadt, o. J., Öl auf Rupfen, 72,2 x 77,7 cm“.
- Heißenbüttel: Meister der schwäbischen Landschaft, a.a.O., S. 277.
- Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Bestand E200b, Bü 15, ca. Oktober 1944, Bericht von Fritz von Graevenitz über „die Zerstörung der Akademie der bildenden Künste im Verfolg mehrerer Luftangriffe“.
- Akten der Spruchkammer 37 – Stuttgart, Staatsarchiv Ludwigsburg EL 902/20 Bü 81044.
- Staatsarchiv Ludwigsburg FL 300/31 III Bü 1790.
- Nachtrag von 1950 im Heilbronner Geburtenregister von 1895. Frdl. Mitteilung von Manuela Horch, Stadtarchiv Heilbronn, Oktober 2024.