Der vergessene Maler Heinrich Kißling aus Heilbronn

Im Herbst 2024 ließ uns ein Zufallsfund über einen weiteren Maler aus Heilbronn stolpern, der vollkommen dem Vergessen anheim gefallen war: Heinrich Gerhard Kißling (1895-1944), der von den 1920er Jahren bis zu seinem Tod im Zweiten Weltkrieg als Professor für Landschaftsmalerei an der Stuttgarter Akademie wirkte.

Aus einer Haushaltsauflösung wurden uns im Oktober 2024 mehrere ältere Gemälde angeboten, darunter Landschaftsbilder und Porträts, einige mit der Signatur “Kißling”. Da wir den Maler nicht zuordnen konnten, waren wir zurückhaltend. Allerdings war es augenscheinlich, dass die Bilder mit der Signatur “Kißling”, die überwiegend auf sehr grobes Leinen gemalt und professionell gerahmt waren, eine gewisse künstlerische Qualität hatten. Wir entschieden uns deswegen zum Ankauf eines Bildes mit einem Segelboot und ließen die ebenfalls angebotenen Landschaftsbilder des selben Malers sowie unsignierte Werke zurück.

Bei der Katalogisierung des angekauften Bildes und der weiteren Recherche konnten wir das Bild einem in Stuttgart nachweisbaren Maler Heinrich Gerhard Kißling zuschreiben. Im Laufe der Recherche fanden wir zudem heraus, dass dieser Maler 1895 als Sohn eines örtlichen Tapezierers und Dekorateurs in Heilbronn geboren wurde. Seinen genauen Lebensweg können wir noch nicht nachzeichnen, aber wir vermuten dass er im Ersten Weltkrieg gekämpft hat und danach an der Stuttgarter Akademie studierte, wo er dann auch blieb und noch während der 1920er Jahre selbst Professor für Landschaftsmalerei war. Der Württembergische Kunstverein und die Städtische Galerie erwarben Werke von ihm, die sie heute noch im Bestand haben.

Während der NS-Zeit profitierte Kißling von der NS-Kulturpolitik, die in Stuttgart praktisch keine „entartete“ moderne Kunst vorfand, sondern die zeitgenössische schwäbische Landschaftsmalerei förderte, wie sie Kißling vertrat und lehrte. Man berief den Maler schließlich auch in die neunköpfige Kommission, die über Ankäufe von Bildern für ein geplantes „Museum schwäbischer Kunst“ zu entscheiden hatte. Innerhalb der Akademie zählte Kißling zu den Fürsprechern von Fritz von Graevenitz (1892-1959) bei dessen Wahl zum Akademiedirektor 1938. Graevenitz war ein bedeutender Bildhauer des Nationalsozialismus, er schuf u.a. Büsten von Hitler und vom württembergischen NS-Ministerpräsidenten Mergenthaler.

Doch entgegen Graevenitz, den eine Aufnahme in die „Gottbegnadeten-Liste“ der NS-Führung vor der Einberufung zur Wehrmacht schützte, musste Kißling im Verlauf des Zweiten Weltkriegs zum Militär einrücken. Er starb schließlich als SS-Obersturmbannführer im November 1944 in einem Kriegsgefangenenlager in Rumänien. In Stuttgart galt er zunächst als vermisst und wurde später für tot erklärt. Seine Räume in der Stuttgarter Akademie brannten bei einem Luftangriff auf Stuttgart vollkommen aus.

Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet Kißling weitgehend in Vergessenheit. Da er wohl fast ausschließlich im akademischen Kontext malte und ein Großteil seines Gesamtwerks bei den Luftangriffen auf Stuttgart zerstört worden sein dürfte, sind wahrscheinlich sowohl zu Lebzeiten als auch danach nur wenige seiner Werke überhaupt in den Kunsthandel gelangt. Außerdem hat man sich mit der Erinnerung an Kißling aufgrund seiner SS-Zugehörigkeit und seines Ansehens innerhalb der NS-Kulturpolitik sicher auch schwergetan.

Wir betrachten es daher als Glücksfall, dass wir ein Gemälde (und später noch zwei Zeichnungen) des Künstlers erwerben konnten und so den Anlass zur Erhellung seiner Biografie hatten. Gleichzeitig bedauern wir, dass wir nicht auch die uns angebotenen Landschaftsgemälde des Malers erworben haben, die bei unserer Nachfrage an den Anbieter bereits anderweitig verkauft waren.